verehrter Kardinal Meisner. Ja, Theater hat Götter gepriesen - nicht nur einen, wie Sie wissen, aber es hatte nicht deshalb eine Mitte, sondern weil es überall zu finden war, vor Kirchen, bei Hofe, in Theaterhäusern, auf der Straße, auf den Brettern, vor denen sich das Volk versammelte um eben nicht fromm sein zu müssen. Es hat immer noch eine Mitte, weil es sich auch heute noch der Macht verweigert (na ja, nicht überall), die Macht verlacht, weil es auch und gerade heute weder Gottesverehrung noch prophetischen Gehorsam übte oder üben wird. Es geht im Theater auch und gerade um Menschen, die aus der Art schlagen und um ihre wundersamen Geschichten. Das Theater liebt Bewegung, Unruhe, es weckt Skepsis, Zweifel, es zeigt uns die schiefe Ebene, das Böse, den Tod, das Theater ist Farce, befreiendes Lachen, und das alles ist: unser Metier.
Darum können wir nicht glauben, nicht an falsch oder richtig, an Heilige oder Huren, nicht an einfache Antworten, schwangere Jungfrauen, zornige Götter und heilige Kriege. Mehr noch: Einige von uns glauben beinahe überhaupt nichts mehr.
Weder an Versprechungen, gute Könige, kluge Präsidenten, unbestechliche Politiker, noch an den heiligen Stuhl.
Aber wir glauben an gute Geschichten, aus Märchenbüchern, aus der Bibel, dem Koran, von gottlosen Schriftstellern, toten Dichtern, an Stücke über den Teufel, korrupte Mächtige, falsche Päpste, böse Könige, aber wir glauben auch an bunte Fenster, durch die das Tageslicht fällt, an Maler, die transparente Haut malen - oder Dämonen auf unsere Brust setzen können, oder an Bilder, die nur blau sind. Und an eine gute Inszenierung. Ihre Inszenierung aber, verehrter Kardinal, ist eine schlechte. Wir sollten sie absetzen. Und Sie gleich mit.