Seid modern, aufgeschlossen, schreibt Leserbriefe und sitzt im Theater, lasst euch langweilen und findet das normal. Ihr wollt schließlich nicht als Rotweintrinkende Spießer gelten, deshalb findet ihr jedes Herumbrüllen auf der Bühne, jede Projektion und jeden Spritzer 'interessant'. Ihr lasst euch gerne quälen, das gehört zum Deal. Kunst muss unbequem sein, so habt ihr es im Feuilleton gelesen. Wer Kunst will, muss leiden können.
Arme Verstörte. Die Miniatur-Bewegungsübungen in Endlosschleife, das ewige Vor und Zurück, das unverständliche Gemurmel, das war nur eine neue Wahrnehmung, so findet ihr, von "Dantons Tod". Ein neues Konzept. Im Kölner Schauspielhaus war es gar nicht langweilig, nein, die dummen Zuschauer, die immer noch glauben, im Theater könne man ein Stück sehen, haben ihre Langeweile bloß "mitgebracht". So wird unter 'Kommentare' auf der Website fleißig geschrieben. Zum Beispiel von einer Tante, die ich mir so vorstelle: Am Computer ins Facebook eingeloggt, hat sie zunächst eine virtuelle Glücksnuss geöffnet, hat neue 'Freunde' 'geaddet', hat sich als Fan von Volksbühnen-Casdorf und Söhnke Wortmann eingetragen und schreibt nun auf die Schauspiel Köln-Seite: "das Textbuch aber ist gar nicht das Stück". Ganz, ganz frische Erkenntnis. Alles ist Fragment, alles ist relativ. Toll.
In der Literatur geht's jetzt auch schon los. Die kleine Hegemann, diese 17jährige Schriftstellerin mit der wilden Haarsträhne, die diesen wahnsinnig zeitgenössischen, jungen Sound hat, schreibt auch in Fragmenten, geklaut aus einem Internet-Blog. Und schon ist sie Bestsellerin. Was ist daran schlimm? Brecht hat auch geklaut. Allerdings wurden aus den Anleihen neue Stücke. Das macht die Sache so unmodern. Wir brauchen keine 'Werke', ihr Jazz-Liebhaber, Bücherleser. Technik und Lärm sind das Prinzip. Downloaden, uploaden, zwischen zwei Buchdeckel, dann auf die Bühne, nochmal gesplittet und garniert mit Videoclips, das ist 'modern'. Ein Stückweit nackt, ein bisschen Feuchtgebiete, fertig ist der Sound. Echte, verstörte Menschen im Zuschauerraum und auf der Bühne, in Talkshows und in Büchern. Und den Rotweintrinker schauert's.
Trotzdem wird die Hegemann plötzlich kritisiert. Hat da wieder jemand etwas nicht verstanden? Keine Sorge. Schon erscheint ein Artikel über das ungerechtfertigte Niedermachen der Hegemann, nur weil sie in die Männer-Domäne einbricht. Moment, wo ist der Zusammenhang? Ach stimmt, der spielt ja keine Rolle. Beinahe hätte ich mich als Pullunderträger geoutet.
Gute Nacht
Arme Verstörte. Die Miniatur-Bewegungsübungen in Endlosschleife, das ewige Vor und Zurück, das unverständliche Gemurmel, das war nur eine neue Wahrnehmung, so findet ihr, von "Dantons Tod". Ein neues Konzept. Im Kölner Schauspielhaus war es gar nicht langweilig, nein, die dummen Zuschauer, die immer noch glauben, im Theater könne man ein Stück sehen, haben ihre Langeweile bloß "mitgebracht". So wird unter 'Kommentare' auf der Website fleißig geschrieben. Zum Beispiel von einer Tante, die ich mir so vorstelle: Am Computer ins Facebook eingeloggt, hat sie zunächst eine virtuelle Glücksnuss geöffnet, hat neue 'Freunde' 'geaddet', hat sich als Fan von Volksbühnen-Casdorf und Söhnke Wortmann eingetragen und schreibt nun auf die Schauspiel Köln-Seite: "das Textbuch aber ist gar nicht das Stück". Ganz, ganz frische Erkenntnis. Alles ist Fragment, alles ist relativ. Toll.
In der Literatur geht's jetzt auch schon los. Die kleine Hegemann, diese 17jährige Schriftstellerin mit der wilden Haarsträhne, die diesen wahnsinnig zeitgenössischen, jungen Sound hat, schreibt auch in Fragmenten, geklaut aus einem Internet-Blog. Und schon ist sie Bestsellerin. Was ist daran schlimm? Brecht hat auch geklaut. Allerdings wurden aus den Anleihen neue Stücke. Das macht die Sache so unmodern. Wir brauchen keine 'Werke', ihr Jazz-Liebhaber, Bücherleser. Technik und Lärm sind das Prinzip. Downloaden, uploaden, zwischen zwei Buchdeckel, dann auf die Bühne, nochmal gesplittet und garniert mit Videoclips, das ist 'modern'. Ein Stückweit nackt, ein bisschen Feuchtgebiete, fertig ist der Sound. Echte, verstörte Menschen im Zuschauerraum und auf der Bühne, in Talkshows und in Büchern. Und den Rotweintrinker schauert's.
Trotzdem wird die Hegemann plötzlich kritisiert. Hat da wieder jemand etwas nicht verstanden? Keine Sorge. Schon erscheint ein Artikel über das ungerechtfertigte Niedermachen der Hegemann, nur weil sie in die Männer-Domäne einbricht. Moment, wo ist der Zusammenhang? Ach stimmt, der spielt ja keine Rolle. Beinahe hätte ich mich als Pullunderträger geoutet.
Gute Nacht