Direkt zum Hauptbereich

"Ich glaube trotzdem"


"Die Polizei hat ermittelt: Das Kind hat die Schule geschwänzt. Hier ist kein Kind entführt und vergewaltigt worden", sagt der Reporter. Da haben wir aber nicht mit den Besorgten und Betrogenen gerechnet, "Interessiert mich nicht" sagt eine Frau vor der Kamera. "Ob das wahr ist oder nicht interessiert mich nicht, ich glaube trotzdem daran". Eine gläubige Russlanddeutsche. Glaube. Der nächste Schritt?

"Unsere Kinder sind nicht mehr sicher. Die Polizei lügt. Die Presse lügt". Der nächste Schritt?
Pressekonferenz des russischen Außenministers. Das alte Hundegesicht bellt hochoffiziell in die Mikrophone: "Ausländer vergewaltigen unsere Kinder". Und die Nazis klatschen Beifall. Immerhin werden sie von Putin finanziert. Die Putin-Propaganda-Show, die Nazis, die 'Bewegung' - sie alle ziehen an einem Strang. Hauptsache Destabilisierung... Hauptsache alle gegen Europa, alle gegen die Flüchtlinge. Was sagt die 'Linke' dazu? Nichts. Die sind sauer dass Putin lieber Frau Le Pen unterstützt. Und sie sind sauer dass ihre Wutbürger im Osten mittlerweile lieber das Original wählen: AfD.

Und sonst? Hauptsache immer auf die Merkel. Die Letzte, die sich in Europa noch vernünftig und menschlich verhält, wird in die Zange genommen. Die Letzte die noch an eine europäische Lösung glaubt, wird von Europa bekämpft. Die Gegner der deutschen Kanzlerin glauben nicht mehr an eine Frau, die an Europa glaubt. Weil sie an Menschlichkeit glaubt. An Vernunft. Ihre Gegner aber glauben nur noch an den Glauben, an Verschwörungen, an Marsmenschen und an geschlossene Grenzen. Tätowierte Dummbeutel glauben an Body-Bildung und aus deren Mund schießt die Botschaft: "Tod den Ungläubigen". Der nächste Schritt?

Die Meldungen und Posts überschlagen sich, eine Lawine aus Propaganda und Hass. Alle Ausländer rausschmeißen - aber vorher noch foltern, schreit Trump in Amerika. Ungarn hat geschlossen, Österreich macht dicht und Seehofer ist sowieso schon lange dicht. Die 'Bewegung' wird wieder zum Vorbild. PEGIDA ruft schon lange nach einem Diktator, der aufräumt, am liebsten Putin.
PEGIDA und Putin predigen die Parallelwelt, in der die Ordnung bedroht ist durch Ausländer, Intellektuelle, Presse, Opposition. Hängt sie auf, schlagt sie tot, erschießt sie. Der Rest soll glauben. Wie die Russlanddeutsche, die sich nicht mehr von Fakten aus der Ruhe bringen lässt.

Folgen wir all diesen Glaubens-Routen, führen diese geradewegs und immer zu ihren politischen Nutznießern. Putin, der Front National, die Salafisten, die Rechtsradikalen in Europa. "Der Westen ist dekadent. Merkel muss weg." Wir wollen zurück zu Kohl und Honecker, oder besser noch zu Hitler und Stalin, da konnte man als Frau noch ruhig über die Straße gehen...

Grenzen zu und Schießbefehl. Eine neue DDR. Gute Idee. Könnt ihr machen, das ganze Pack. Und macht schön dicht. Macht was ihr wollt, aber lasst uns damit in Ruhe.
Mir reicht es schon lange, das kaltlächelnde Geschwätz in fast jeder Talkshow. Weil wir ja Demokraten sind. Weil wir jeden zu Wort kommen lassen müssen. Das Muster ist: Wir setzen eine Runde von Skandal und Grusel zusammen. Beispiel 'Maischberger'. Ein Schweizer Hetzer (Roger Köppel), ein ehemaliger Führer der 'Bewegung' (Henkel), die aktuelle Führerin (Petry) - es ist unerträglich. Der Gegenpart? Ein wildgewordener Augstein und ein verbissenen Stegner (sozialdemokratischer Schnellsprechautomat). Die Talkshows sind zu Boulevardmagazinen verkommen, Irrationales, Wutschnauben, alle Plattitüden der rechten Propaganda, alle Angstszenarien werden dort ausgebreitet. Soviel zu Lügenpresse.

Dazu kommen hektische Ausweichmanöver, wie eben nach der Diskussion über die 'Kölner Ereignisse'. Haben unsere kritischen Geister völlig den Verstand verloren? Jedenfalls weigern sie sich hinter die Fassade zu blicken, so wie sonst, um zu ergründen warum bestimmte Phänomene auftreten oder gar wo deren Wurzeln liegen. Das Tempo von Meldungen, Posts, Kommentaren und Videos hat eine Frequenz erreicht, die einem Nachdenken oder gar Differenzieren kaum mehr Zeit lässt. Kaum Zeit lassen soll. Schauen wir auf die Diskussionsforen der TV-Sendungen, lesen wir nur noch braunen Müll.

Warum fällt das Denken, das Analysieren im Moment so schwer, gerade nach den Gewaltexzessen von Köln?
Die Fakten liegen auf dem Tisch, da versucht Frau Kraft (SPD) in einer Plasberg-Talkrunde immer noch zu verschleiern, dass in der Silvesternacht gelogen wurde, indem sie behauptet, die Polizei hätte erst nach und nach vom Umfang der Übergriffe erfahren.
Und Frau Künast (Grüne) überschlägt sich: Straftäter - warum Flüchtlinge - egal woher sie kommen - ohne Ansehen der Person - Keine Vorverurteilung...
Und die Kabarettisten? Eifrig dabei ihre Schablonen zu bedienen und ironisch zu relativieren: aber Vergewaltigung in der Ehe - das Oktoberfest - der Karneval - Thailand...
Binsenweisheiten. Da haben wir uns mehr versprochen. Diese Stimmen haben nichts gelernt. Eine bittere Verharmlosung der neuen Qualität an Gewalt.

Ohne Ansehen der Person? Wir müssen uns allerdings die Personen ansehen, die Täter, so wie es die Opfer tun mussten, die das öffentlich machten, als die Polizei noch verlauten ließ, es sei ein ruhiges Silvester gewesen, um dann, nach Ansehen der Personen, Formulierungen zu suchen, die nur das Ziel hatten die Herkunft der Täter zu verschleiern. Wessen Geschäft sie da betreiben, sehen wir an den verbalen Angriffen auf die Opfer, wenn diese versuchen zu schildern, was sie gesehen haben und was ihnen geschehen ist.

Eine junge Frau erzählt von ihren Erlebnissen im SWR. Über die unglaubliche Folge dieses Interviews schreibt der Sender auf seiner Seite: "Selina ist geschockt und unglaublich wütend, wenn sie an das Video denkt, das ein wildfremder Mann über sie ins Internet gestellt hat. Zu sehen sind darin Ausschnitte aus ihrem Fernsehinterview. Darin erzählt sie, dass die Männer, die sie an Silvester belästigt haben, südländisch aussehen und arabisch gesprochen haben. Dafür wird die 26-Jährige als rassistisch und rechtsradikal beschimpft."

Wir sollten, wie sonst auch, an der Seite der Angegriffenen stehen, nirgendwo sonst. Nach einer Flut von Falschmeldungen war klar dass einmal mehr die Stunde der Verschwörungsanhänger schlägt: Neuerdings wird im Netz behauptet, gerade die vielen Lügen machten offenbar, dass eben auch Köln eine einzige große Lüge gewesen sei. Die Frauen seien im Auftrag von Rechtsradikalen zur Polizei gegangen um Flüchtlinge zu diskreditieren.

Wie oft wurde von klugen Menschen in den letzten Jahren darauf hingewiesen, dass gewisse Kräfte natürlich Interesse daran haben, Gewalt und Überfälle durch Nazis und Rassisten zu verharmlosen, indem sie behaupten, diese seien doch nur Kriminelle. Es wurde immer wieder nötig zu erklären: Es sind eben nicht einfach nur Straftäter - es sind Nazis, ihr Weltbild führt zwangsläufig zur Gewalt. Und wenn das nicht gesehen werden soll, machen wir einen verhängnisvollen Fehler.

Was ist also so problematisch für 'Linke' und 'Grüne' hier mit gleichem Maß zu messen, die gleichen Fragen zu stellen - die Hintergründe zu analysieren?

Es sind interessanterweise die gleichen Kräfte, die kritisieren, dass die dummen Sätze immer beginnen mit: "Ich bin kein Nazi, aber..." in diesem Fall allerdings selbst ständig mit einem 'aber' herumwedeln und damit einfache Wahrheiten vom Tisch fegen wollen. Oder sich herauswinden, ein Stückweit, aber nachhaltig.

Ich denke, ein Linker, der nicht jede Gewalt ablehnt, jeden Übergriff anprangert, wie auch jede militärische Okkupation und jede Diktatur, der ist eben kein Linker. Jede Grüne, die sich weigert, Wahrheiten auszusprechen, ist keine Grüne und jeder Demokrat, der Unterdrückung billigt, ist eben kein Demokrat. Und noch eins: jeder Kabarettist, der mit Witzen über schwarze Männer die blonde Frauen vergewaltigen, Gewalt ironisiert und damit verharmlost, ist eben nicht mehr lustig. So einfach ist das.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Gartenschau...

ist auch nicht mehr unschuldig. Das Thema Kostüm ist ein schwieriges geworden, sagt eine Moderatorin im WDR. Der Inhaber eines Kostümverleihs in Köln erzählt von der besonderen Vorsicht vor allem der jungen Leute. Kein Scheich, kein Indianer… Vor zwei Jahren hat man sich zu Karneval noch ein Betttuch übergeworfen, heute haben die jungen Leute Angst damit einen Scheich zu beleidigen. Um die Ecke meines Theaters gab es „Altentheater“. Viele ältere Menschen hatten dort Spaß am Spiel. Auch eine Tanzgruppe von Seniorinnen der AWO hatte sich anlässlich der Bundesgartenschau 23 ein besonderes Programm einfallen lassen: „Weltreise“. Mit phantastischen, zum großen Teil selbstgenähten Kostümen sollte diese Reise um die Welt auf die Bühne kommen. Doch dann knallte es: „Wir sollen die spanischen Flamenco-Kostüme, den orientalischen Tanz, den mexikanischen Tanz mit Sombreros und Ponchos, den japanischen Tanz mit Kimonos, den indischen mit Saris und den ägyptischen Tanz, in dem wir als Pharaoninnen ...

Falsche Sprache wird nicht richtiger, wenn sie verordnet wird.

Köln verordnet Gendersprache. Verwundert reibt sich der Leser die Augen. Ja, der Leser. Der Mensch der liest, egal welchen Geschlechts. Aber warum einfach, wenn's auch kompliziert geht. Warum es einfach richtig machen, wenn es auch falsch verordnet werden kann. Dafür gibt es Bürokratie. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Bekanntmachungen der Kölner Stadtverwaltung meist das Gegenteil von dem bedeuten, was sie vorgeben: „Fahrradfreundlich“, „Kulturförderung“ - nun sehen wir: es geht noch schlimmer: „Geschlechtergerechte Sprache“. Ein entsprechender ‚Leitfaden’ verdient nicht einmal das Prädikat ‚Gut gemeint und schlecht gemacht‘. Gut gemeint ist nichts, diesmal geht es schlicht um den Kniefall der Stadtverwaltung vor einer Ideologie. Nicht nur, dass hier jede Regel der deutschen Sprache in den Wind geschlagen wird oder die Ablehnung der Gender-Sprache durch den zuständigen „Rat für deutsche Rechtschreibung“ keine Rolle spielen darf, d urch die Verordnung einer ‚falschen‘ Sprache wil...

Im Gedenken an meinen Freund Thomas Reis

Rede zur Trauerfeier in der "Comedia" am 30. August 2024 Thomas Reis. Es sind so viele Freunde da, es ist so viel vorbereitet. Mir fällt es schwer heute über ihn zu sprechen. Am liebsten würde ich weinen und anschließen ein paar Kölsch trinken. Aber: Thomas sagte: Du hältst die Rede. Toll. Diese Rede zu schreiben hat von mir das verlangt, was ich in über dreißig Jahren immer von Thomas verlangt habe. Von 1000 Seiten Text 995 zu streichen. Es sind so viele Erinnerungen, so viele Fußballspiele, so viel Kölsch, so viele Reisen, so viele wundervolle Auftritte, auf Gold-, Holz-, Kartoffel- und Reis-Bühnen, in Freiburg, Berlin, im Theater am Sachsenring und auch in der Comedia. Hier wollte er eigentlich nicht mehr auftreten. Kein Platz mehr für alte weiße Männer, erzählte er mir. Jetzt ist er doch wieder da. Geht doch. Thomas? Ich höre dich. „Liebe Freunde der belesenen Betroffenheit, Feministen und Feministinnen, trans-, bi-, homo- hetero- und metrosexuelle Menschenfreund*innen al...