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Gefühle


26. Mai 2011

Seit längerer Zeit kein Blog-Eintrag mehr. Warum schreibst du nicht mehr, fragt mich ein Freund, warum gerade jetzt nicht einfach die Gefühle schildern - nach der Wiedereröffnung des Theaters, fragte er mich weiter, nach einem Blick in den ‘Spiegel’ der neuen Internetseite des Theaters am Sachsenring. Letzter Eintrag Jelinek? Gefühle?

Es ist so schwer für uns Männer, über Gefühle zu reden. Was soll ich da schreiben? Im Dezember 2009 musste ich mein Theater schließen. Finanzielle Probleme. Was hatte ich für Gefühle? Enttäuschung, Wut? Ich habe so viel über die unsäglichen Dummheiten von Politik und Verwaltung geschrieben, über das Zu-Tode-Sparen. Freunde rieten mir schon bald, es um Gottes Willen endlich ruhen zu lassen.

Da ist etwas dran. Sich nicht verbeißen. Abstand gewinnen. Im März 2011 konnte ich das Theater wieder öffnen, mit englischsprachigen Gastspielen. Es bleibt schwierig, aber es macht wieder Spaß. Gefühle? Arbeit, Anstrengungen. Vorsprechen, erste Proben, Hoffnungen, Erwartungen. Die nächsten Steine, die in den Weg gelegt werden, die freudigen Erwartungen von Schauspielern, die ersten Abstimmungsschwierigkeiten. Gefühle?

Ich sitze nicht mehr abends am Computer und denke und schreibe, ich rege mich nicht mehr auf, setze mich anschließend hin und schreibe darüber. Laue Sommerabende, Meer und Sand. Das sind Gefühle. Am Eingang des Theaters sind Platten lose. Die bisherigen Reparaturen haben den Zustand verschlimmert. Vor zwei Jahren ahnte ich den Abschied von vertrauten Abläufen und Räumen. Ich fing an, Theke, Bilder, Stühle, Krimskrams, den Blick auf die Bühne, zu fotografieren und zu verabschieden. Gefühle? Ja.

Dann entschlossen wir uns, die Räumlichkeiten dem Theater der Keller zu überlassen. An einem glühend heißen, staubigen Sommertag saßen wir im Büro einer Anwaltskanzlei mit trockenem Mund und unterschrieben den Vorvertrag. Kein Zurück mehr. Blass, erhitzt und erleichtert kehrten wir zurück. Die Entscheidung war gefallen. Platz für ein neues Leben?

Die letzten Vorstellungen, gut besucht, begeistert gefeiert, die Schauspieler verstehen noch nicht ganz, sie werden unterkommen, sie werden spielen. Es halten sich Gerüchte, das Keller würde doch nicht bei uns einziehen. Gefühle? Alle wissen etwas, lächeln mitleidig, wir erfahren es als letzte. Ich muss hinterher telefonieren. Ja. Der Anwalt und sein Anhang, sie bleiben im alten Keller. Wir stehen da und wundern uns und beschweren unsere Herzen. Gefühle? Enttäuschung, Wut. Und Hoffnung - natürlich.

Andere Interessenten wollen uns einen Apfel und ein Ei geben für das Theater, für ein Theater, das betriebsbereit am Sachsenring steht. Ein letzter Abend, Fotos, eine Schauspielerin nimmt noch ein Kleid mit, ein Schauspieler den Hasen aus “Liebe, Sex und Therapie”. Wir schließen und verschwinden. Die Laufschrift über dem Eingang läuft weiter. Warum, fragen Freunde. Eine Freundin mietet das Theater. Preisnachlass? Klar. Es ist aber dann doch nur für eine Freundin der Freundin. Nach dem Fest sieht das Theater befleckt und ramponiert aus. Gefühle? Enttäuschung. In der Zwischenzeit will uns die Politik mit einer Liquiditätshilfe unter die Arme greifen. Die SPD und ein Grüner sind dagegen. Warum haben wir Feinde? Warum diese offensive Ablehnung? Der Beschluss zur Hilfe wird gefasst. Die Freunde der SPD und des Grünen aber sitzen auch im Amt und nehmen den Beschluss übel. Das Amt schreibt uns einen Brief. Sie werden das Geld nicht überweisen. Gefühle? Typisch. Ich fange wieder an mich zu verbeißen in die eigenen Denkschleifen. Hat das kein Ende?

Es gibt Freunde, die helfen wollen, sie finden aber wir sollten uns ändern, wir sollten klüger werden, wir sollten ökonomischer planen, ein anderer Spielplan? Ein Steuerberater will uns beraten. Er schließt die Augen, wenn er einfache Wahrheiten ausspricht. Traumfrau? Ja. Kafka? Nein. Ich versuche zu widersprechen. Irgendwann kommt er nicht mehr. Freunde helfen uns den Haushalt zu planen. Noch einmal die Zahlen. Die Schulden bleiben. Die Planung und die Altlasten muss man trennen. Wir trennen und tragen die Altlasten. Freunde wollen uns helfen. Es braucht eine neue Struktur. Eine GmbH. Eine gemeinnützige. Dann kann man helfen.

Wir reden über Stücke, die keine Kosten verursachen, Publikum ziehen und Einnahmen bringen. Nächste Spielzeit mit neuen, jungen Schauspielern neue Inszenierungen, große Stücke, flotte Komödien, griffige Titel. Da müsste es doch mit dem Teufel zugehen… Gefühle? Spannung, Erwartung. Die Journalisten schreiben über die Eröffnung und die Wiedergeburt nach dem ‘Liebesentzug’ durch das Kulturamt. Witzig. Das Kulturamt findet das gar nicht witzig. Sie rufen in der Redaktion an und ‘intervenieren’. Warum haben wir Feinde? Was ist los? Es nimmt kein Ende.

Eine Freundin sagt mir, ich würde nicht verstehen. Ich müsse einfach einmal den Mund halten. Sonst brächte mich das wieder in Schwierigkeiten. Ich verstehe nicht. Ich plane den Spielplan. Mit Kafka und Traumfrau. Und Hamlet und einem Stück über Spengler/ Walser/ Benjamin. Das bekommt einen kleinen Zuschuss. Es gibt neues Personal, das auf Augen verdrehen und zischeln seitens bestimmter Amtspersonen nicht so viel gibt. Hoffnung. Natürlich.

Das englischsprachige Theater hinterlässt begeistertes Publikum, dessen Umfang allerdings zu wünschen übrig lässt. Nicht genug Schülergruppen. Einige letzte Vorstellungen sind voll und es knistert. Der Raum ist klein, die Atmosphäre dicht. Das Theater atmet wieder. Schön. Gefühle? Erschöpfung und Gespanntheit. Und Vorfreude. Besser geht’s nicht.

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