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Nackt und feucht

Ich gehe gerne ins Theater. Aber was heißt schon Theater heutzutage? Es ist mehr als Theater. Es ist Halle, Werkstatt, Studio, Fabrik, Raum... eine nackte Fläche. Auf der nackten Fläche sind Mikrophone zu sehen. Ach ja, Mikrophone. Kein Schauspieler ohne Mikrophon. Alles erinnert jetzt an ein Pop-Konzert. Die Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühne ist gefallen. Die Ebenen überlappen sich. Theater ist Pop, Event. Eins ist allerdings im Theater noch anders: Mitklatschen und Wunderkerzen werden ersetzt durch:

Flüssigkeiten. Schauspieler sind immer nass, feucht, stecken in kurzen Höschen, Unterhemden, Unterröcken, fallen hin, stehen auf – nackt und feucht. Und sie sind immer bei der Arbeit. Auf den großen Bühnen gibt es immer etwas zu laufen, zu springen, zu turnen, bis zur Verausgabung. Toll. Und schon sind alle verschwitzt, feucht, nass. Früher bewunderte der einfache Zuschauer, die simple Zuschauerin, wie ein Schauspieler, eine Schauspielerin sich so viel Text merken konnte, heute sind alle schwer beeindruckt, wie erschöpft, verausgabt, nass und schmutzig die Darsteller nach vorne treten, um sich vom befeuchteten Publikum Johlen und Klatschen abzuholen. Eben ein Event.

Die Flüssigkeiten werden getrunken, verschüttet, gespuckt, der Boden wird angefeuchtet, um später, wir ahnen es schon, ganz unter Wasser zu stehen. Nichts gegen Flüssiges, wenn es ins Stück passt, nichts gegen Schreie, wenn sie eine Emotion ausdrücken – ohne Dauerzustand zu werden. Aber all diese Maßnahmen sind nur noch Bausteine für die eine, einzige Theater-Performance-Rezeptur, die fast überall angewendet wird, auf freien und städtischen Bühnen. Immer geht es um Entgrenzung und Bewegung, Bewegung, die ein Text oder ein Schauspieler nicht mehr leisten können, nicht mehr leisten sollen – denn es soll ja Pop sein, Performance – oder einfach Regie-Selbsterfahrung. Spätestens dann frage ich mich warum es dafür noch ein Publikum braucht. Und das fragt sich der performative Theatermacher auch.

Kein Stück ohne Text-Flächen, keine Inszenierung ohne Video-Projektionen, keine Inszenierung in der nicht geschwitzt, gewitzelt, geschlachtet, fragmentiert wird, wir schauen hin und sehen nichts, wir schauen in ein Programmheft, in dem sich Dramaturgen ausgetobt haben. Jetzt verstehen wir.

In Köln wurde die Katastrophe um den Einsturz des Stadtarchives im Schauspielhaus durch den Kakao, oder besser auch durch Wasser gezogen. Wasser und Erde sind persönlich aufgetreten, nackt, und fickten. Es war richtig was los. Ich hörte: Das Regietheater ist so toll mit den Textmassen fertig geworden - und so respektlos. Ja. Meine Kölner Freunde und Kollegen waren glücklich. Dabei erfahren die Elemente nur dasselbe, was Othello und Desdemona oder Faust und Gretchen auf den Bühnen des deutschen Theaters immer erfahren. Irgendwann sind alle nass. Es wäre doch eine schöne Idee, einmal eine gespielte Szene zu zeigen. Othello wird eifersüchtig wegen eines Tuches und nicht weil im Hintergrund Desdemona gefickt wird und gleichzeitig ein Nackter an der Rampe ein Lied in ein Mikrophon singt. Später wird Desdemona dann ins Wasser gesteckt - plitschplatsch und tot (Habe ich tatsächlich in Köln gesehen, fanden alle ganz toll). Keine Missverständnisse: Die Jelinek-Inszenierung mit dem Wasser von Köln, in Köln von Karin Beier inszeniert, war faszinierend, sie hat eine Textfläche mit allen Mitteln des Theaters sinnlich, komisch, durchdringend gemacht - und ich fand es großartig. Bis zur Pause. Danach das große Platschen und Klatschen, es war eine reine Freude, aber nichts weiter.

Und noch etwas können wir beobachten: Je mehr geschrieen, gespritzt und gefickt wird, desto glücklicher sind die Rezensentinnen. Ich habe nachgeschlagen. Alle Kritiken sind immer euphorisch wenn es um ein Experiment, um Dokumentarisches, Migration, wenn es um Wasser, um echte, authentische, verstörte Menschen geht. Manche Regisseurin spricht davon, die Aufgabe des Theaters sei es nicht, zu unterhalten oder es gar dem Publikum leicht zu machen. Ist der Umkehrschluss richtig? Und ist es nicht eine besondere Art des Rassismus immer echte Flüchtlinge auf der Bühne hinter die Mikrophone zu stellen – und sie damit auszustellen wie ehemals die Schausteller auf dem Jahrmarkt? Der leise Grusel des Bürgertums im Parkett ist sicher. Echte Menschen. Die Schauspieler kellnern derweil in Kneipen bis sie arbeitslos sind um dann als echte Arbeitslose wieder auf der Bühne stehen zu dürfen.

Das Regisseur/innen-Theater rechtfertigt jede Reizüberflutung gerne mit der Ausrede, das Publikum provozieren zu wollen. Dieses müsse das schon aushalten. Muss es? Auf der Bühne arbeitet der Schauspieler, im Parkett arbeitet der Zuschauer. Beide werden gequält. Botschaften, für die ein Kabarettist eine kurze Pointe braucht, werden im Theater zu fünfeinhalb Stunden (ohne Pause) zerdehnt. Ist das Theater ohne Sinn und Verstand, auf benetzten Flächen, in hermetischen Räumen, das Theater der Zukunft?

In einem immer ärmeren Leben von rasendem Stillstand, führt zwar ein atemlos-spritziges Theater zumindest zu einer Reizung der Sinne, aber diese Reizung kommt höchstens bis zur Wasser-Oberfläche. Es sei denn, man gehört zu den Leuten, die Wasseroberflächen ein Stückweit 'spannend' finden, weil sie sich als Teil des zeitgenössischen Publikums fühlen, die diesen Reiz, dieses Wasserkräuseln brauchen, um klug über Theater reden zu können.

Theater ist anders. Es war immer anders und wird immer anders bleiben. Ein stiller Moment, eine Geste, ein Blick, ein leicht angezogener Satz, ein entblößtes Wort. Und ein Zuschauer, der das hört und sieht und erkennt, ganz still im Dunkeln. Das Lärmen, die Performance, das quälend überfrachtete Experiment - all das wird landen wo es hin gehört.

Es lebe das Theater!

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