Freitag, 23. Dezember 2011
War schön in der Schlosserei. Noch ist sie nicht abgerissen. Gute Erinnerungen habe ich an ausverkaufte Vorstellungen meiner Musikgruppe ZINNOBER Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, oder an das Gastspiel des Theaters am Sachsenring mit unserer Inszenierung von “Das Fest” 2005, ebenso ausverkauft und bewegt aufgenommen vom Publikum. Jetzt bin ich also wieder Gast im Zuschauerraum des ‘kleinen’ Hauses: “Die Phönizierinnen” in aktueller Inszenierung: “Wir Kinder aus Theben”.
Warm, eng, Vorfreude. Ich kenne viele Premierengäste, situierte Bürgerinnen und Bürger, Journalisten, Förderer, Träger, Amtsleute, Lehrer. Küsschen, man wünscht sich frohe Festtage. Das Programmheft bereitet auf Körperflüssigkeiten und Schlachten vor.
Das erste Bild: Die Wand im Vordergrund wird eingeschlagen, eingetreten, die Einzelteile zerschmettert. Es staubt. Kommt jetzt das Übliche? Nein. Der junge Regisseur Robert Borgmann (Dramaturgie: Sybille Meyer) findet einfache, klare und sehr beeindruckende Bilder und Szenen für die Unausweichlichkeit des Untergangs, des Verderbens, wenn der Gewalt nicht Einhalt geboten wird. Zeitbezug ohne die Zeit zu leugnen. Die Söhne streiten sich um das Erbe Thebens (Carlo Ljubek als Eteokles, Renato Schuch als Polyneikes). Keiner der Beiden will weichen.
Das zieht in Bann. Denn wir sehen die Söhne, wie sie aneinander vorbeischauen, lächeln, sich konfrontieren, ausweichen, schmeicheln und zustoßen. Wir spüren die Spannung im Gefecht der Worte, der Sätze, der Bewegungen, wir spüren jede Regung, jede Täuschung, alle Feindseligkeit. Wunderbar - eine Ouvertüre zu einer sehr musikalischen Inszenierung, die gutes Timing hat und den gesamten Konflikt über die Figuren aufbaut - mit exzellenten Schauspielern.
Die Mutter Iokaste (Julia Wieninger), ihr gelingt es nicht die Söhne zu besänftigen, sie fleht, sie zürnt. Der Vater Kreon (Yorck Dippe), der feige Repräsentant, kalt, überfordert, weiß nicht wohin mit sich, wenn er seinen Sohn Menoikeus (Orlando Klaus) opfern soll. Höchst beeindruckend die retardierende Verzweiflung, schließlich die stumme Kälte. Das Suchen und nicht Finden wollen, am Ende nur noch das Warten auf die Erfüllung der Prophezeihung. Sie wir erzählt. Alle tot, alles zerstört. Antigone (Marina Frenk) sucht den Vater. Sie sucht, sie irrt, sie ruft ihn - und Ende. Die Schauspieler fassen sich an den Händen, ein stiller, guter Schluss, sie suchen die Hand der Antigone-Schauspielerin, die noch suchend nach dem Vater ruft. Sie fassen sie nicht. Ich bin sowieso tot, sagt die Wieninger und geht ab, die anderen folgen, Kreon muss bleiben. Antigone ruft weiter, leise. Da hören wir hinter den Säulen Schreie, wie das Kreischen von Krähen. Junge Mädchen in weißen Gewändern (Chor?) setzen sich in eine Reihe, in gekrümmter Haltung, die Köpfe abgeknickt, aus ihren Mündern fließt Blut. Das erste Mal auf der Bühne, dass Blut fließt.
Es ist still. Das beeindruckende Finale eines großen Schauspielabends, in dem sogar einen Sinn hat, während eines dramatischen Monologs den Satz fallen zu lassen: Was macht man mit einem Hund – der keine Beine hat? Pause - Um die Häuser ziehen. Oder das Kind, das die Prophezeihung der alten Seherin ausspricht. Die Schauspieler, zur Wand gewandt, sprechen den Text, das kleine Kind, blondes, langes Haar, tropfnass, wandelt über die Bühne und macht synchron die Mundbewegungen. Schön-grausam, sehr präsent, verwirrend. Freud und Marx treten auf, zelebrieren komponierten Text am Klavier, laufen mit riesigen, schwebenden Schritten rund um die Bühne – wie Marx-Brothers im Ministerium für komische Gänge. Alle diese Intermezzi haben die richtige Stelle, die Leertaste bekommt Bedeutung, wie jede Geste, jedes Wort. So fallen wenige überflüssige ‘Tricks’ eben nicht ins Gewicht. Das unterscheidet die Inszenierung von manchem Ärgernis. Schade, dass es keine Bravos gab. Hatten die Premierengäste anderes im Kopf, oder saßen sie schon unter dem Weihnachtsbaum. Die Inszenierung, die Schauspieler, sie trafen Emotion und Geist.
Ein guter Abend.