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Unterwerfung

Entschuldigung. Ich weiß. Sie denken jetzt: Bitte nicht schon wieder. Aber, Ehrenwort, ich kann nichts dafür. Fast täglich werden wir konfrontiert mit neuen Vorfällen im Kampf der Identitären gegen Kunst, Satire, Bühne, mit einem Kampf gegen jede Kultur, die nicht „sauber“ ist. Und ich - ich muss darüber schreiben, denn das ist mein Metier. Sauber? Ich arbeite seit vierzig Jahren für die Bühne. Ich erinnere mich gerne an die gute alte Zeit, als sich alle noch bemühten auf Teufel komm heraus nicht sauber zu sein. Da spielten in der Arbeit an meinem Theater die Kunst, die Widerhaken in der Kunst und Schauspiel die wichtigste Rolle. Und selbstverständlich spielte Diskriminierung, etwa aus Gründen des Alters, der Hautfarbe, der Herkunft oder des Geschlechtes keine Rolle. Es war selbstverständlich, dass das keine Rolle spielte. Neuerdings werden wir ständig darauf hingewiesen, dass das eine Rolle spielen muss. Wir waren doch auf einem guten Weg, wir mussten nicht darüber reden, denn selbstverständlich probierten wir in einem sicheren Raum, selbstverständlich hatte Rassismus keine Chance.

Tja - die Zeiten haben sich geändert. Heute erlebe ich, dass es plötzlich nur noch um Hautfarbe, Sex, Geschlecht, Sternchen und Doppelpunkte geht, um Sexismus und Skandale, um toxische und strukturelle Strukturen. Was aber wird, nur so nebenbei gefragt, aus der Kunst? Sie ist zu einem Teil, einem Fragment des politischen Aktivismus verkommen. Ich beobachte mit Verwunderung eine ungekannte, sich extrem zuspitzende Nivellierung in der Kunst durch Unterwerfung unter das Diktat der „Identitäts-Ideologie“, ich erlebe eine Nivellierung der Kunst durch Anpassung an Vorgaben und Kriterien, eine Nivellierung durch Gehorsams-Gesten und Selbstgeißelung nach vermeintlichem Ungehorsam. Es ist fürchterlich zu sehen wie sich unter den Kollegen Sklaven-Mentalität verbreitet hat. Ich kannte so etwas bisher nur aus Geschichtsbüchern. Puritanismus, Verfolgung, Angst und Schuldeingeständnisse.

Die unter  Anpassungsdruck geratenen Künstler klagen sich selbst an, obwohl sie nicht fürchten müssen irgendeiner Kultur-Stasi zugeführt zu werden. Keine staatliche Stelle verlangt von ihnen Wohlverhalten. Der Staat spielt in der Unterdrückung von Kunst keine Rolle - diese Rolle haben andere übernommen. So können wir staunend beobachten, wie Redaktionen, Verlage, Intendanten und Ämter sich den Internet-Communitys, den „Bewahrern reiner Kultur“ unterordnen. So ist es auch kein Wunder, dass sich diese Community mittlerweile meint sich alles herausnehmen zu können, alles kontrollieren zu dürfen, ohne fürchten zu müssen, dass ihnen irgendjemand das Handwerk legt. Was ist da los? Eine freiwillige Aufgabe künstlerischer Freiheit und ihrer Möglichkeiten habe ich so noch nie erlebt. Ich frage mich dann, sind meine Kollegen schon früher ohne Rückgrat durch ihr Künstlerleben gelaufen? Woher kommt diese Unterwürfigkeit? Eine große Angst scheint umzugehen, die Angst etwas falsch zu machen, die Angst in der Welt der Kultur keine Rolle mehr spielen zu dürfen, die Angst angegriffen zu werden, die Angst einen Werbetrend zu verpassen, die Angst keine Zuschüsse mehr zu bekommen oder die Angst Marktanteile zu verlieren. Es geht  um richtig gesetzte Worthülsen und Doppelpunkte. Es geht wie in der Werbung nur noch um Greenwashing, Pinkwashing, Regenbogenwashing - es geht im Kern um ideologische Unterordnung - in Deutschland schon immer eine Spezialdisziplin. Wer das Gendern verpasst, der wird schnell gehasst. 

Fast die gesamte Kultur samt ihrer Vermarkter und Berichterstatter lässt die selbsternannten Gerechtigkeitskrieger ihre Säuberungen ungestört durchführen. Man lässt sie behaupten, sie wüssten wer Kultur schaffen darf, wer sprechen darf und wie gesprochen werden muss, was Kultur bedeutet und wie sie aussieht und zwar überall - in Afrika, Indien, Mexiko oder Japan, man lässt sie behaupten dass sich Mexikaner verletzt fühlen, wenn in Deutschland jemand einen Sombrero trägt und man lässt sie behaupten, dass natürlich sie stellvertretend den Sensibilitäts-Kampf für alle Mexikaner führen müssen. Sie wollen alles zertrümmern, das sich nicht identisch zeigt mit den Vorstellungen ihrer Sekte. Sie knüpfen einen Strick, der aus Codierungs- und Typisierungs-Strängen besteht und an dem sie uns aufhängen wollen und wir - warten brav auf die Hinrichtung. Wir sind doch nicht mehr ganz sauber nur noch sauber sein zu wollen...

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