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Fritsch und Chétouane im Schauspiel Köln


Montag, 30. Januar 2012

Das Beste war der Schlussapplaus. Die bunten, blassgesichtigen Schauspielerfigurinen werden von der Gruppe einzeln aus dem Pulk nach vorne geschoben, an die Rampe, stolpernd, fallend, schleichend. Es sind Figuren einer Applausordnung, komisch, übertrieben, Finger in die Luft reckend, jubelnd, schüchtern oder auch gespielt schüchtern, mit großer Geste, Handküsse werfend, auf die nicht vorhandene Galerie winkend – 10 Minuten Schlussapplaus, eine tolle Nummer, die zum Lachen reizt und für einen Moment fast vergessen lässt, was für zwei Stunden überdrehter Langeweile hinter den Zuschauern liegen.

Charly Hübner habe ich gesehen, Anja Laïs - ich sehe sie immer wieder gerne auf der Bühne. Was ich nicht gesehen habe ist alles, was ich hätte sehen können, eine Annäherung, Schauspielerei, eine Geschichte, einen Text, Differenzen, Spannung, Brecht, ein Stück, 'Puntila und sein Knecht Matti'. Aber die Erwartungshaltung, einen erfüllenden Theaterabend erleben zu können ist im Stadttheater auf einen ähnlichen Stand gesunken, wie die Erwartung, den FC noch einmal um die Meisterschaft spielen zu sehen. Der Unterschied: Das Theater wird trotzdem zum Spitzenreiter gemacht.

Es scheint schon zum Ritual zu gehören, das Publikum leiden zu lassen, um Rezensenten und Juroren zu befriedigen. Folge: Zäh und nervtötend, immer wieder, immer wieder, immer wieder und wieder, alle Erwartungen über egomanische 'Regie-Talente', die mehr und mehr Regiestühle deutscher Theater besetzt halten, mehr und mehr bestätigt zu sehen. Fritsch bleibt das frisch gehypte Talent, weil Ex-Schauspieler, Ex-Castorf, Ex-Verkrachter, Ex-Weggänger, Ex-Provinz-Regisseur. Er bietet eine Geschichte, die skandalisiert, die ihn zur Marke macht. Er drückt seine Regieschablone auf jedes Stück. Ein bisschen Struwwelpeter, ein bisschen Comic, so entdeckt und wiedererkannt, wird er zum Theatertreffen eingeladen (natürlich) – und schließlich im Theater des Jahres auf das Kölner Publikum losgelassen.

Pausenlose Bewegungs-Choreografie, hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen, Jacke gleiten lassen, Hose auch, rutschen, zittern, fallen, schlängeln, alles von Klaviermusik begleitet, ohne Stillstand, ohne Rhythmus, Karikatur einer Karikatur, verzerrte Figuren, die in kein Stück passen, oder in jedes – wie die Posen für den Schlussapplaus. Körperlichkeit ohne Sinn, Schminke ohne Gesicht, Text ohne Bedeutung, genuschelt, skandiert, das ganze Programm. Schauen wir uns die Bilder anderer Inszenierungen von Herrn Fritsch an, dann fällt auf: Dieser Regisseur richtet jedes Stück auf die gleiche Weise hin.

Einen Tag später: Ein anderer Regisseur, der auch immer auf die gleiche Weise arbeitet, eine andere Regie-Marke – Chétouane – richtet den nächsten großen Autor hin, diesmal Kleist. Im Gegensatz zu Fritsch geschieht das in der Halle Kalk kraftlos, in Zeitlupe, gedehnt. In weiße Trikots gesteckt, gehen, traben, laufen die Schauspieler, wie Marionetten über die Bühnenfläche vor (natürlich) einer Videoprojektion, schauen sich entweder bedeutungsschwanger an, oder reden vor sich hin. Eine E-Gitarre wird zum kreischen gebracht, pausenlose Bewegungs-Choreografie, hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen, Jacke gleiten lassen, Händchen in die Höh', Text zerlegen, zerlabern, Ärmchen in die Höh', halbherzig, wenn im Text jemand niedersinkt, dann sinkt der Schauspieler nieder, halbherzig, um sofort wieder aufzustehen, die Händchen zu heben und weiter zu gehen. Langeweile, zäh, quälend. Wie schon 'Dantons Tod' unter Endlosschleifen von Fingerübungen unkenntlich blieb, so wurde auch das 'Erdbeben in Chili' zwischen Turnübungen erstickt. Die Frage muss erlaubt sein: Warum lässt eine Intendantin solche Regisseure überhaupt inszenieren? Zwei Stunden auf eine leere Bühne schauen zu dürfen, wäre spannender gewesen.

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