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Das Theater wird abgeschafft

Vor langer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, gab es im Kino Breitwand und Technicolor, die Alternative war das Theater. Es regte unsere Phantasie auf besondere Weise an, erzählte von fernen Räumen, nahe liegenden und nahe gehenden Konflikten, von Königen, Eheleuten, Kobolden, wie in allen Zeiten - und es waren dort Figuren zu beobachten, die menschlich agierten, über die wir lachen oder staunen konnten. Vorbei.
Heute beherrschen spartenübergreifende Mixturen, angereichert von Lärm und Video die Bühnen des Landes.

Seit Jahren, fast Jahrzehnten, toben sich Eventmanager, Performer und Experimentierer in den großen und kleinenTheatern aus und behaupten, erst mit Recherche gäbe es Realitätsnähe und nur mit der Abbildung von Realität würde sich Aktualität einstellen. Nur das sei innovativ. Welch ein Irrtum. Jedem Trend, jedem politischen Skandal reflexartig hinterherzulaufen, kreiert eine Art populistisches Pop-Theater. Nichts anderes.
Im Ergebnis wird so jedes Theaterschiff gegen die Kaimauer gefahren.

Die freien Theater (im Grunde die Erfinder des verstörenden Experiments), werden flächendeckend nur noch gefördert, wenn sie die hysterischen Zustände der Stadt- und Staatstheater ordentlich imitieren und jedes Thema, jede Textfläche zum Steinbruch für experimentelle Hohlräume umbauen. Doch zurück in die Belle Etage.

In Berlin ist nun der Ost-Wahnsinnige und Berserker Casdorf von einem Eventmanager (dem belgischen Kurator Chris Dercon) ersetzt worden, dem Berliner Ensemble steht Oliver Reese vor. Ein Fortschritt?
Vom Stückespielen halten beide nichts. Ein Beispiel aus dem Zentrum der Eitelkeiten.
Zwei lustige Intendanten attackieren in Berlin das Theater gleich von zwei Seiten.

Der Journalist Simon Strauss war für die FAZ dabei, staunte und schrieb unter anderem:
"Ein großer Teil der Theaterszene bewegt sich im Moment in Richtung spartenübergreifender Performance, so dass auch ein Erdrutschsieg ihrer Fraktion – anders wird man die Übernahme der Volksbühne wohl nicht bezeichnen können – kaum überraschen darf. Die Frage, was diese neue Spitzenstellung der experimentellen Theaterhaltung an künstlerischer Innovation bringt, bleibt allerdings weiter offen...
Reese ... ging unter dem wertkonservativen Berliner Theaterpublikum sofort auf Stimmenfang und sprach vom 'postdramatischen Fieber' und der Missachtung des 'well-made play'. Dercon dagegen definierte das Theater umständlich als einen 'Ort, wo die Kommunikation der Gesellschaft sich präsentiert', und wies vor allem auf dessen Charakter als 'Begegnungsstätte' hin. Er kündigte eine Auflösung der Grenzen zwischen den Sparten Theater, Tanz und bildender Kunst an und stellte eine Reform der unbeweglichen 'Theater-Maschinerie' (mit anderen Worten: des Ensemblegedankens) als unausweichlichen Schritt in die Zukunft dar...
Den Vorwurf des Traditionalismus wollte Reese nicht auf sich sitzen lassen und verwies auf den radikalen Ausschluss von Klassikern aus seinem Spielzeitprogramm."

An dieser Stelle denke ich nur noch 'Oh Gott', seid ihr alle verblödet oder werdet ihr dafür bezahlt dem Theater den Todesstoß zu geben? Wahrscheinlich beides. Aber weiter im Text:

"In den alten Stücken fänden sich, so argumentierte ernsthaft ein ehemaliger Dramaturg, keine Antworten mehr auf die drängenden Fragen unserer Zeit. (Wieso muss eigentlich jeder etwas zu Klimawandel und Migration sagen?) Deshalb sei ein Fokus auf die Gegenwartsdramatik unausweichlich. Jetzt war es an Dercon, sich als Bewahrer zu inszenieren. Euphorisch verwies er auf die Rekonstruktion einer alten Beckett-Inszenierung, die bei ihm auf dem Programm stehe, weil sein Haus eben 'weniger an Aktualisierung als an Archivierung' von Theater interessiert sei.
... Dercon attestierte Reese einen ökonomisch getriebenen Produktionswahn – 'Bei Ihnen werde ich ja schon vom Zuhören ganz erschöpft'...

Es ging dann noch eine ganze Weile um die Frage, was wichtiger sei: das Nachdenken über Form oder Stoffe, Narration oder Ästhetik... Dercon meinte, dass sich die großen Themen der Zeit nicht durch 'große Geschichten' erzählen ließen (mit kleinen Theorien wird es besser gehen?), und Reese, von Dercons Polemiken etwas angeschlagen, kam nur noch mal auf den Eigenwert des Spiels zu sprechen. Am Ende trennten sich die beiden Kontrahenten punktgleich unentschieden."

Ich gehe schon nach dieser Lektüre fast KO. Jetzt brauche ich nur noch ein paar Zeilen Kulturentwicklungsplan der Stadt Köln und einen Absatz Förderkonzept (vielleicht der mit dem 'Experimentellen Theater'), dann... nein, ich gehe nicht zu Boden.
Wir werden aber weiter Theaterstücke spielen. Das Publikum liebt sie. Und wir lieben das Theater.
Wir brauchen gerade heute ein, zwei, viele unbeugsame Dörfer.

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