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Theater in Köln - wohin?

Die „Theaterkonferenz“ hat sich aufgelöst. Eine gute Idee?

1979 wurde auf Anregung von Jürgen Flimm ein Bündnis für alle Theater gegründet, die Kölner Theaterkonferenz. Ob städtisch oder frei, englisch, griechisch, türkisch oder kölsch, Vielfalt war Programm. Nach 40 Jahren hat sich diese „Theaterkonferenz“ nun in einen „Verein für darstellende Künste“ aufgelöst, der sich, neben den Aufgaben einer Künstlervertretung, besonders einer neuen Aufgabe widmet, nämlich ideologische Speerspitze der Identitätspolitik zu werden. So verwenden die Protagonisten auch schon die berüchtigte Alternativ-Sprache, die zur Zeit in bestimmten Medien durchgesetzt wird, eine künstliche Sprache, in der es von :innen nur so wimmelt. Signal: Wir sind die Guten. Mit diesen neuen Sprachschablonen, die sich nur noch um Geschlecht und Hautfarbe drehen, soll ein neues Denken eingeführt werden. Früher ging es um Menschen, die Theater machen, sogar um Kunst, heute haben wir es mit User*innen, mit POCs und LGBTQA+* zu tun, die sich auf den Bühnen um sich selbst drehen und ihre Themen „verhandeln“ wollen. Die Vereinigung der Theater mit „Tänzer:innen“ und „Einzelkünstler:innen“ (so heißt das im Community-Deutsch) wird zum Politikum.

Ich kann und will als Regisseur und ehemaliger Vorsitzender der Theaterkonferenz diese Entwicklung nicht länger umkommentiert lassen.

Die Strömung des Neo-Puritanismus ist für uns Theatermacher zu einer konkreten Gefahr geworden. Zu Beginn konnten die zunehmenden Angriffe auf Satire oder der empörte Ausruf „Ich bin kein Kostüm“ noch als Verrücktheit betrachtet werden. Selbst als Rollenspiel und Schauspielarbeit als „Aneignung“ diffamiert wurden, haben das viele von uns nicht Ernst nehmen können. Aber die Präambel des neuen Vereins zeigt uns den Ernst der Lage. 

Eine Gruppe der Community forderte bereits Anfang 2021 für eine neue Schauspiel-Intendanz „die Repräsentation von nicht-weiß positionierten Menschen, von mixed-abled Menschen, von Frauen*, trans*, inter* und queeren Akteur*innen of Color“.

Ich habe seinerzeit diesem rassistischen Pseudo-Antirassismus deutlich und öffentlich widersprochen. Mein Brief fand im Kollegenkreis große Zustimmung. Die Medien berichteten, die Kritisierten wussten nichts zu sagen, also kam ihnen die Stadt Köln zu Hilfe. Sie verordnete prompt einen so genannten „Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache“. Diese Gender-Bibel enthält Tipps, die helfen sollen, die generische Form ganz zu streichen, Tipps, die sich jeder Grammatik verweigern, bildhafte Sprache ablehnen und die falsche Anwendung des Partizips empfehlen, mit grauenhaften Beispielen, wie etwa den Beruf des Arztes mit „Medizin praktizierende Person“ zu umschreiben. Wann wird diese Dummheit enden?

Linguistin Heide Wegener schreibt: „Es könnte noch dauern, weil den Genderformen durch Leitfäden von Unis und Behörden ‚nachgeholfen‘ wird …“.

Auch die Kölner Verwaltung will uns weiß machen, dass nur dann jedes einzelne der vielen Geschlechter (!) „sichtbar“ werden kann, wenn für alle mitten im Wort eine Gedenksekunde durch Luftanhalten eingelegt wird. Außerdem soll nicht mehr wichtig sein was, sondern nur noch wie etwas gesagt wird und vor allem von wem. Je mehr Pigment, desto besser. So sieht der neue, gute Rassismus aus, der den alten Rassismus einfach umkehrt. 

Ein neues Bündnis Kölner Theater war zwar schon lange geplant, nun ist dieses Bündnis aber zu einer Plattform der „Identitätspolitischen Bewegung“ geworden. 

Für die entscheidende Beratung am 26. Mai hatte ich daher noch einmal einen Einspruch formuliert (hier ein Auszug):

„Theaterkonferenz vs Darstellende Kunst - Ein Einspruch

In der Praxis war es nicht nur in meinem Theater, sondern auch bei allen anderen Kollegen, die ich kenne, selbstverständlich, mit Menschen verschiedener Herkünfte, Hautfarben und sexueller Orientierungen zu arbeiten, ohne das ständig betonen zu müssen. Unser Ziel war, Unterschiede endlich auf-, nicht etwa herauszuheben. In der neuen Satzung geht es dagegen nur noch um Betonungen - und um Kontrolle. Dafür soll ein so genannter ‚Rat der Vielfalt‘ eingerichtet werden. Dessen Mitglieder…

‚…müssen folgende Voraussetzungen erfüllen: Expertise in den Darstellenden Künsten ebenso wie in den Bereichen Inklusion, intersektionale Diversität, Rassismus, Diskriminierung und Gleichstellung.‘

(…) In einem weiteren Absatz wird … behauptet,

‚BIPoCs, Menschen mit Behinderung, LGBTIQ* sowie weitere Vielfalten‘ würden ‚ausgeschlossen‘. Andere ‚Erfahrungen‘ würden ‚oft nicht berücksichtigt‘.

Wenn aber die hier zitierten ‚anderen Erfahrungen‘ tatsächlich in Theaterinszenierungen greifbar gemacht werden, etwa durch Rollenspiel, finden sich Theatermacher auf der Anklagebank wieder (…) Der ‚heteronormative Rassist‘ William Shakespeare soll genauso von den Bühnen verschwinden wie ‚weiß gelesene‘ Stücke - in diversen Theatern sagen die Figuren schon jetzt König*in - Poesie? Und nun soll auch uns (…) ein neues Vokabular beigebracht werden:

‚Anm. 2: …BIPoC ist die Abkürzung von Black, Indigenous und People of Color und bedeutet auf Deutsch Schwarz, Indigen und der Begriff People of Color wird nicht übersetzt.‘

Auch seinerzeit, in der DDR, waren Menschen verdächtig, die einfach nicht lernen wollten, dass ‚Mauer‘ in Wirklichkeit ‚antifaschistischer Schutzwall‘ heißen musste. Ideologische Sprache und Ausrichtung - das kann nicht unser Ernst sein… 

gez. Joe Knipp“

Trotz dieses Einspruchs wurde die Präambel angenommen. Ein erschreckendes Ergebnis. 

Als ich 2001 zum Vorsitzenden gewählt wurde, haben wir im Vorstand nicht hingenommen, dass Räte oder Kriterien den Wert oder die Berechtigung von Theater bestimmen. Das Theater in seiner Vielfalt zu präsentieren, als offenen Raum für Kunst und Publikum, das war der gemeinsame Gedanke und genau in diesem Sinne erfanden wir auch im Vorstand die „Theaternacht“, die erste in Deutschland.

Dieselben Kräfte aber, die schon damals lieber von „Leuchttürmen“ statt von Vielfalt, lieber von „Dekonstruktion“ statt von Theaterkunst redeten, richten heute einen „Rat der Vielfalt“ ein, der untersuchen soll, ob genug POC in der Kunst steckt. „Diversität“ ist zu einer Art perversem Maß aller Dinge geworden, die Internetseiten quellen über von Sternchen, neue Zeichen und Begriffe werden zu Mitteln im Kampf um Einfluss und Fördergelder. All das hat mit Vielfalt nichts - und mit einem Kampf gegen Rassismus nicht das geringste zu tun.

Die „Amazon Studios“ haben uns bereits gezeigt, wohin die Reise geht. Seit Juni 2021 ist das „Eintreten für Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit“ Pflicht geworden: „Es sollen nur noch Schauspieler engagiert werden, deren Identität (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmt.“

Und wieder müssen wir uns fragen - ist das Ernst gemeint? Nach diesen Regeln dürfte Othello nur noch von einem schwarzen Mörder gespielt werden. Ja, es ist Irrsinn und es hat Methode. Und die Tyrannei treibt weitere Blüten. Die Filmförderung Schleswig-Holsteins sieht vor, dass jeder, der einen Antrag stellt, einen „Diversitäts-Check“ durchlaufen muss. Hier eine Kostprobe:

„Wie viele Frauen sind in leitenden Funktionen am Projekt beteiligt? Gibt es im Team People of Colour? Und wenn nein: Warum nicht?“

Ganz ruhig. Noch einmal: Film- und Theatermacher, egal welchen Geschlechts, wollen mit Menschen ihres Vertrauens arbeiten, egal welcher Hautfarbe. Aber im Check werden sogar noch die Inhalte vorgegeben: „Hautfarbe bzw. People of Color… sexuelle Identitäten…“ Und: „Durch welche Ansätze in der Figurenentwicklung werden klischeehafte Rollenbilder vermieden? (bitte beschreiben)“ 

Was bleibt - außer neuen Klischees? Christian Gampert kommentiert im DLF: „Polit-Aktivismus Allerorten. (…) in Mannheim veranstaltet man ein Themenwochenende zur ‚postmigrantischen Geschichte‘, und will die ‚Konzepte‘ von Mann und Frau ‚auflösen’.“

Ach ja, natürlich: „Männlich“ und „Weiblich“ sind ja nur „Konzepte“, von biologischen Fakten hält man im Reich alternativer Fakten nicht viel. Die Gender-Sau, die durch jedes Theater-Dorf getrieben werden muss, trampelt alles nieder, das wir einmal Theaterliteratur nannten. In Schwerin, stehen „Die Weber:innen“ auf dem Spielplan, in Hamburg sind „Die Räuber“ Frauen, in Köln wird „Oblomov“ zu „Obomova“, zu einer Frau, die sich „verweigert“ und in Berlin wird „Der Nussknacker“ ganz vom Spielplan gestrichen - nicht wegen der fehlenden Nussknacker:in, sondern schlicht wegen Rassismus.

Raum für Schauspiel, Kunst, für freies Denken? Das könnte ja zu falschen Ergebnissen führen. Die kanadische Schauspielerin und Autorin Carmen Aguirre bezeichnet die Entwicklung als „beschämende Zeit der großen Säuberung … Wenn wir statt einer Souveränität des Denkens eine Uniformität der Gedanken in unserer Theaterwelt wollen, haben wir kein Recht, zu behaupten, dass wir uns bemühen, inklusiv und vielfältig zu sein. Dann haben wir kein Recht, Kunst zu machen.“ So ist es. (Übrigens, das schreibt eine Frau mit chilenischen Wurzeln und farbig - aber wahrscheinlich nicht farbig genug).

Im Sinne dieser „großen Säuberung“ hat es mich am Ende auch nicht mehr verwundert, dass der „Beirat“ im Kulturamt in 15 Jahren jede Basisförderung meines Theaters (TAS) ablehnte. „Sie spielen ja nur Theater“, hieß es von der Amtsleiterin. Das ist heutzutage ein Problem. Theater und Literatur - haben sie überhaupt noch eine Chance? Schriftsteller Matthias Politycki hat unser Land verlassen. Er schreibt „Die Sprache ist mein Handwerkszeug, aber was ihr gerade widerfährt, ist für mich schwer erträglich.“

Uns allen stellt sich die Frage: Wollen wir hinnehmen, dass Bücher verbrannt, Filme verbannt oder Theaterstücke verboten werden? Wollen wir dulden, dass Bürokraten und „Räte“ darüber entscheiden, wer sich künstlerisch äußern darf? Dazu sage ich: Nein. Schluss damit - und zwar sofort - sonst ist es zu spät.

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