Direkt zum Hauptbereich

Hängt ihn höher


Jetzt sind sie also vorbei, die Feiertage. Die Sonne ist müde, der Winter schläft immer noch seinen Winterschlaf. Die Gesellschaft rasiert sich und schneidet sich die Haare, aber es bleiben Apathie und Furcht (vor einem Satz warmer Ohren, Arbeit, der Mehrwertssteuer, Klimaerwärmung, einem Satz neuer Reifen). Weit weit weg im nahen Osten ist ein Massenmörder gehenkt worden. Wir sind zwar gegen die Todesstrafe, aber in diesem Fall... nur etwas stört: Da bricht bei den Henkern im Irak offen aus, was bei Amerikanern oder Chinesen sonst unter einem Schwall von Worten über Gerechtigkeit oder Zivilisation begraben wird: Hinrichtung ist Rache, nicht mehr und nicht weniger. Hängt ihn höher! Ob Giftspritze oder Steinigung: Auf ins Mittelalter! Und das Foto-Handy nicht vergessen. Ein Opferfest jagt das nächste.
Huhn oder Ei?
Zugegeben, an Weihnachten ist Fernsehen am schwersten zu ertragen, da trübt sich der Blick bei so vielen verschwitzten Kitschfilmen. Die Hinrichtung des letzten Restes unseres Verstandes. Also lesen. Schau an, im Stadtanzeiger gibt es interessante Berichte und Analysen. Dort steht: Die politischen Magazine im Fernsehen verlieren dramatisch an Einschaltquote. Kein Wunder, denke ich. Apathie. Aber nicht nur. Scharfsinnig wird im Blatt analysiert, dass die verschobenen Anfangszeiten und die Selbstbeschneidungen die gefühlte Bedeutungslosigkeit vorgeben. Spielshow und Stadl sind eben wichtiger. Wer braucht noch Enthüllungen - außer wenn es um Dessous geht? Und das quittiert der Zuschauer. Der ist also doch nicht so dumm? Oder wie?
Nachdem die Kulturseite im Stadtanzeiger nur noch Kurzkritiken druckt, in denen es fast gar nichts mehr zu lesen gibt, fällt mir ein, dass auf jede Kritik an den Unzulänglichkeiten der Kulturseite von der Redaktion immer zu hören ist, die Leserquote sei eben dramatisch niedrig. Die Bedeutung der Kultur sei den Lesern nicht zu vermitteln, man müsse froh sein, dass es überhaupt noch eine Kulturseite gäbe. Die wenigen Leser begründen also die Selbstbeschneidung, die zu noch weniger Lesern führen, die zu Beschneidungen führen, die....
Da fällt mir die Kölner Kulturpolitik ein, so ganz im Allgemeinen...
Gute Nacht

Beliebte Posts aus diesem Blog

Im Gedenken an meinen Freund Thomas Reis

Rede zur Trauerfeier in der "Comedia" am 30. August 2024 Thomas Reis. Es sind so viele Freunde da, es ist so viel vorbereitet. Mir fällt es schwer heute über ihn zu sprechen. Am liebsten würde ich weinen und anschließen ein paar Kölsch trinken. Aber: Thomas sagte: Du hältst die Rede. Toll. Diese Rede zu schreiben hat von mir das verlangt, was ich in über dreißig Jahren immer von Thomas verlangt habe. Von 1000 Seiten Text 995 zu streichen. Es sind so viele Erinnerungen, so viele Fußballspiele, so viel Kölsch, so viele Reisen, so viele wundervolle Auftritte, auf Gold-, Holz-, Kartoffel- und Reis-Bühnen, in Freiburg, Berlin, im Theater am Sachsenring und auch in der Comedia. Hier wollte er eigentlich nicht mehr auftreten. Kein Platz mehr für alte weiße Männer, erzählte er mir. Jetzt ist er doch wieder da. Geht doch. Thomas? Ich höre dich. „Liebe Freunde der belesenen Betroffenheit, Feministen und Feministinnen, trans-, bi-, homo- hetero- und metrosexuelle Menschenfreund*innen al...

Die Gartenschau...

ist auch nicht mehr unschuldig. Das Thema Kostüm ist ein schwieriges geworden, sagt eine Moderatorin im WDR. Der Inhaber eines Kostümverleihs in Köln erzählt von der besonderen Vorsicht vor allem der jungen Leute. Kein Scheich, kein Indianer… Vor zwei Jahren hat man sich zu Karneval noch ein Betttuch übergeworfen, heute haben die jungen Leute Angst damit einen Scheich zu beleidigen. Um die Ecke meines Theaters gab es „Altentheater“. Viele ältere Menschen hatten dort Spaß am Spiel. Auch eine Tanzgruppe von Seniorinnen der AWO hatte sich anlässlich der Bundesgartenschau 23 ein besonderes Programm einfallen lassen: „Weltreise“. Mit phantastischen, zum großen Teil selbstgenähten Kostümen sollte diese Reise um die Welt auf die Bühne kommen. Doch dann knallte es: „Wir sollen die spanischen Flamenco-Kostüme, den orientalischen Tanz, den mexikanischen Tanz mit Sombreros und Ponchos, den japanischen Tanz mit Kimonos, den indischen mit Saris und den ägyptischen Tanz, in dem wir als Pharaoninnen ...

Neusprech und Krieg

 Der gestrige Tag war ein in fürchterlicher Tag. Putins Überfall auf die Ukraine hat mich erschüttert. Dass es tatsächlich soweit kommen würde, habe ich noch zuletzt nicht für möglich gehalten. „Nie wieder Krieg“ - es war eine Illusion. Gestern morgen dachte ich noch, dass jeder, gerade in unserem Land, den Krieg ohne wenn und aber verurteilt. Aber dann: es gibt schon wieder zu viel „aber“. User:innen lamentieren auf den „sozialen Netzwerken“ über Putins „Befindlichkeit“. Nicht gesehen, nicht gehört, seit Jahren diskriminiert - also muss er sich wehren und die Ukraine „entnazifizieren“. Die Wahrheit wird einmal mehr auf den Kopf gestellt - Lüge wird zur Wahrheit umgeschrieben. Schon beschämende Auftritte von Frau Wagenknecht und Frau Krone-Schmalz in Talkshows führten zu Kopfschütteln. Sie gebärdeten sich, als wären sie Putins Pressesprecherinnen. Was ist los in diesem Land? Ein gemeinsamer Boden für Kommunikation, gemeinsame Begriffe, die sich auf Fakten stützen, sind auch der Bod...