Bin seit Montag in Schwetzingen, fremd-inszenieren, bin verschwunden. Heimlich still und leise in ein anderes Theater, in andere Straßen, ich höre einen anderen Singsang, eine andere Sprache. Ich atme auf und empfinde gleichzeitig die leise Wehmut über fehlendes Kölsch (obwohl ich sicher irgendwo eins finden werde wie jeder Kölner in der Fremde). Kein Dom, kein Jeck öm de Eck. Letzte Woche war noch Karneval, rund um die Baustellen ein bunter Zug, an den Seiten der Severinsstraße eine singende, rufende Menge. Jetzt, im verregneten Schwetzigen: andere Luft, ein Schloss, ein großer Park. Statt ins 'Filos' 'Zum grünen Baum'. Andere Kollegen in gespannter Erwartung, alte Bekannte. Nur der Regen fällt überall.
Ich habe die Sondermeldungen gesehen. Kaum bin ich fort, verschwindet ein ganzes Haus aus der Severinstraße. Es sackt weg, reißt ab, Hohlräume ziehen alles in die Tiefe, in den Sand. Arbeiter haben die Risse und das Grollen bemerkt und fast alle Menschen aus den Häusern getrieben. Daher kaum Opfer. Wieviele? Zwei? Man kommt nicht an sie heran. Da ragen Steine, Balken, Erde rutscht, darunter Bilder, Papiere, Dokumente, Schriften, Erinnerungen. Mein Gott, dass die Mahner und Warner diesmal auf so brutale Weise Recht behalten müssen. Die Kirche in der Nähe stand schon schief, vor vier Jahren. Der U-Bahn-Bau hinterließ schon Risse überall.
Sonst verschwindet nur Geld, sonst gibt es nur die normalen Risse in der politischen Moral. Doktortitel, Pläne, ja ganze Politiker verschwinden, wo sie hergekommen sind, in die Bedeutungslosigkeit. Das tägliche Verschwinden betrifft sonst nur den kurzen Witz, den klugen Satz, das Lächeln, die kleine Kultur, jetzt aber bricht unter einer Wolke von Staub die Kultur von Jahrhunderten ins Nichts. Das 'Gedächtnis der Stadt', des Rheinlandes, wer hat es aufs Spiel gesetzt? Zumindest entdecken wir die wohlbekannten Muster. Immer ist es dieselbe Art Bürokraten, die sich regelmäßig taub stellen, dieselben Politiker, die nichts gewusst haben wollen, die Verantwortlichen, die keine Antwort geben. Immer ist es das Abschieben, das Warten. Warten bis es zu spät ist. Bis nur Trümmer bleiben. Solche Bilder will ich nie wieder sehen.
Die Bilder aus Kriegs- oder Erdbebengebieten sehen ähnlich aus. Es sind ja überhaupt immer dieselben Bilder, im Fernsehen. Eine besorgte Frau vor stürzendem Dax, Anzug- und Gesichtsträger, die Rettung erwarten, noch ein paar Milliarden bitte, immerhin hängen Arbeitsplätze dran - die Arbeitsplätze wiederum hängen auf der Straße in Massen mit rotem Käppchen auf dem Kopf, im motzigen Mund die unvermeidlichen Plastiktrillerpfeife. Pfeifenlärm, während ein Politiker seine Stimme erhebt, die sich fast überschlägt und - wie immer - nichts sagt. Er hat gute Werte. So sieht unsere Kultur aus.
Welches Land, welche Stadt braucht ein 'Gedächtnis'?
Ein Blick zurück? Warum? Wer braucht Erinnerung an Sprache, Gespräche, gute Literatur, an Theater, an Eigenarten? Weg damit. Stadl, Soap, Blog, Twitter, Bild, sms, das genügt.