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Kehlmanns Kritik


Der Autor Kehlmann, der den wunderbaren Erzählband 'Ruhm' schrieb, hat eine Rede gehalten in Salzburg gegen das Spagetti-Spritz-Kreisch-Theater. Jeder kennt es, jeden langweilt es, aber wer es kritisiert, der wird niedergemacht.
Schon seit Jahren. Damals, als das anfing mit dem Schreien und den ununterbrochenen Zappeleien, blieb noch ein Lächeln, wenn wieder einmal ein Jungregisseur auf die 'Idee' kam, ein klassisches Drama mit Eigentexten anzureichern und auf Leinwänden Bilder von Panzern oder Explosionen laufen zu lassen, um zu verdeutlichen, dass der König in dem verstaubten Stück eigentlich ein Kriegstreiber ist und so redet wie George Bush.
Mittlerweile ist das alles nur noch ärgerlich.
Es handelt sich in diesem Streit nicht um einen Widerspruch, etwa zwischen modern oder antiquiert, links oder rechts (da irrt Kehlmann), zwischen provokant oder sonstwas, sondern um einen Befund: Das deutsche Theater, frei oder städtisch, ist flächendeckend beherrscht von den Clowns der Drittklassigkeit. Das so genannte Regietheater ist in Wirklichkeit einfach nur schlechtes Theater. Es verwechselt Technik mit Spiel, Lautstärke mit Spannung, es schreit und spritzt und schlägt um sich.
Herr Kehlmann hat Recht, ein Regisseur sollte den Autor verstehen wollen, den Text verstehen wollen, einer Geschichte zum Leben auf der Bühne verhelfen. Ja, auch dienen.
Die Kunst muss provozieren, höre ich. Allerdings. Kunst ist und bleibt subversiv, das ist ihr Wesen. Sie macht das Unausgesprochene hörbar, das Unsichtbare sichtbar.
Und schon haben wir das nächste Problem. Die 'Experimentierer' wollen nichts sichtbar machen, sie ignorieren Sprache, Sinn, Geschichte. Alles muss fragmentiert und zerfetzt werden. Was ist daran revolutionär? Gar nichts. Diese Kollegen sind so subversiv wie Angestellte einer Werbeagentur, die schnelle Schnitte und den Weichzeichner schon für 'innovativ' halten. Der einzige Unterschied: Im Gegensatz zu Werbeclips sind die Inszenierungen der Provokateure angestrengt, witzlos und dauern mindestens drei Stunden. Aber alle meinen das muss so sein. Im Theater muss das Publikum leiden. Das fördert den Verkauf: Nackt, besudelt, schreiend, schon ist die Inszenierung skandalisiert, also medienkompatibel. Der Regisseur verstört sein Publikum, so heißt es dann auf den Kulturseiten und in Fernsehmagazinen. Und schon wird seine Regie-‚Marke’ weiter gehandelt.
Unter dem Muff von tausend Jahren einen Nackten auf die Bühne zu bringen, das war in den 60ern schockierend. Heute: Gähnende Langeweile. In unserer Zeit von Satzstümpfen und zerplatzenden Bilderblasen, in einer Zeit eines riesigen, brüllenden Marktplatzes voller Nacktheit braucht das Theater eine andere Belebung, eine Revolution. Revolutionäre, die das Theater lieben und uns helfen die Marketing-Schnösel zum Teufel zu jagen. Damit das Theater wieder ein Ort geistvoller Verzauberung wird.
Das sieht nicht jeder so. Herr Kehlmann sei doch nur ein Autor gehobener Unterhalter und habe keine Ahnung vom Theater, schreibt der Stadtanzeiger.
"Daniel Kehlmanns Kritik am 'Regietheater' ist die des Kretins, der vor einem abstrakten Gemälde steht, 'kann ich auch' sagt und das für eine erfrischend mutige Meinung hält. Doch man möge es ihm verzeihen, denn niemand kann Fachmann für alles sein."
Ich denke: Die Kritik des Stadtanzeigers an Daniel Kehlmann ist die des Besserwissers, der vor einem Michelangelo steht, „zu traditionalistisch“ sagt und das für eine erfrischend mutige Meinung hält.

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