Wochenende in Ehrenfeld. Im 'Goldmund' eine Diskussion über den türkischen Autor und Nobelpreisträger Orhan Pamuk. Die hatte Windungen und Wendungen: interessant! Pamuk sitzt zwischen allen Stühlen. Für die Nationalisten ist er zu wenig patriotisch, für die Linken zu unkritisch, für die Religiösen zu wenig religiös. Und für die Leser? Er kreiert Bilder, was er schreibt ist reine Poesie, sagt jemand, ein Mann bestätigt, der Schnee sei genau so, wie er ihn schildere, genau so. Jemand sagt, einfache Menschen lesen seine Bücher nicht, seine Sätze seien zu kompliziert.
Thomas Mann, Kafka, würden sie sich heute verkaufen können, wenn sie nicht schon längst zum Kanon gezählt würden? Wären ihre Bilder, ihre Sätze heute nicht auch viel zu kompliziert? Jeder Schreiber braucht einen Leser. Dieser Leser, diese Leserin also, muss ihn (sie) aber auch verstehen können. Wir müssen wieder 'lesen' lernen. Wer versteht denn noch die Filmsprache eines Truffaut (wo bleibt die Action?), wer versteht noch die Sprache des Theaters (nein, nicht Musical, wo der Sänger mit dem amerikanischen Akzent ganz viel Text in ganz wenig aufgepumpte Musik pressen muss)?
"This is my life" säuselt eine Band im Fernsehen. Nein, es ist eine deutsche Tele-Novela mit Rosen im Titel, es sind Schauspieler, bei denen das 'spieler' gestrichen werden muss. Eine Aneinanderreihung von Klischees, aufgepumpter, durchsichtiger Mist. Das verstehen fast alle, deshalb wird auch immer mehr Mist produziert. Clips, Gericht, Volksmusik.
Also, Fernsehen aus. Lesen! Das Lesen jenseits von Dan Brown, Rosamunde Soundsoviel und Harry Potter, ist aber offensichtlich, zumindest öffentlich, nur noch als augenzwinkerndes, schmunzelkompatibles, von Dreigang-Menus umspieltes Pointensuchen erwünscht. Also, zu hause bleiben und Kafka lesen. Oder in ein richtiges Theater gehen und ein richtiges Theaterstück ansehen, zum Beispiel Brecht im TAS. Jaja.
Guten Abend
Zusatz:
Birgitt Schippers im Dom Radio 7. 11. 06:
"Regisseur und Theaterleiter Joe Knipp schafft es, ein an sich sprödes Stück, witzig und unterhaltsam zu inszenieren, ohne dass die Tiefgründigkeit verloren ginge. So verblüffend einfach und unwiderstehlich wie die Mechanismen des Lebens, so ist auch das Bühnenbild. Quer durch das Publikum geht ein Laufsteg, auf dem die Soldateska marschiert. Die Pagode auf der Bühne ist ein Bretterverschlag, der durch ein kleines Schild als Tempel markiert wird. Und der Elefant ist ein Leinentuch, das von einem der Soldaten wie eine Marionette mit Stöcken bewegt wird. Ein menschliches Puppentheater wird vorgeführt – mit erschreckenden Folgen.
Tief beeindruckend in ihrer Intensität und Wandlungsfähigkeit ist Marietta Bürger, die sowohl in die Rolle der Frau des Packers, wie Fischweib oder Marketenderin schlüpft und die Unerbittlichkeit des Daseins mit einem feinen, disziplinierten Augenzwinkern vermittelt. „Mann ist Mann“ ist ein unbedingt sehenswertes Theatererlebnis am Theater am Sachsenring, das dieses Jahr sein zwanzigjähriges Jubiläum feiert und sein Publikum auch mit seiner jüngsten Produktion begeistern konnte."